Prix Germaine de Staël 2024: Sofina Dembruk

Sofia Dembruk a reçu le Prix Germaine de Staël à l’Université de Passau lors du congrès de l’Association, du 24 au 27 septembre.

„Saincte et precieuse deformité“. Expérimentations littéraires de la laideur à la Renaissance (Marguerite de Navarre, Marot, Du Bellay), „Études et essais sur la Renaissance“, Paris: Classiques Garnier, 2022.

Es ist das Schöne, das gemeinhin als „idée maîtresse“ (Chastel 1976) der rinascimentalen Kunst gilt, ebenso wie die Suche nach der „idée de la beauté“ im Zentrum der Dichtung steht: Du Bellay ersingt sie beispielhaft im Sonett 113 seiner neuplatonischen L’Olive (1550). Welchen Platz nimmt die Hässlichkeit ein – in einer Epoche, die gänzlich dem Ideal verpflichtet scheint und das Difforme und Deviante gemäß christlich-platonischer Metaphysik mit dem Niederen und Bösen assoziiert? Dass die Renaissanceliteratur durchaus heterodoxe écritures des Hässlichen entwirft, wird am Beispiel dreier kanonischer AutorInnen, nämlich Marguerite de Navarre, Clément Marot und Joachim Du Bellay illustriert. Insbesondere für die literarische Produktion der ,première Renaissance‘ lassen sich zwei ausgeprägte Tendenzen in der literarischen Funktionalisierung von körperlicher Hässlichkeit ausmachen: eine Christianisierung und eine Poetisierung.

Zur Christianisierung: Aus christlich-humanistischer Perspektive wird der hässliche Körper zu einem Vektor für Wahrhaftigkeit: Er trägt alle misslichen Eigenschaften nach Außen, versucht nichts zu dissimulieren; sein eigentlicher Wert ist dabei nicht sofort ersichtlich, sondern muss über das Abjekte hinweg erst erschlossen werden. Hier liegt auch das hermeneutische Potential der Hässlichkeit, welches der Schönheit, die in sich abgeschlossene „apparence“ bleibt, abgesprochen wird. Diese paradoxe Umdeutung wird paradigmatisch an der Figur des Sokrates – schöner Geist im miserablen Körper – ausbuchstabiert und von Erasmus verchristlicht, wenn er in seinen Adagia (um 1500) ganz unverhohlen, ja fast hetzerisch fragt: „An non mirificus quidam Silenus fuit Christus? […] Si summam Sileni faciem intuearis, quid juxta popularem aestimationem abjectius aut contemptius?“ (2201 „Sileni Alcibiadis“). In der paradoxen Figur des Silens – hässlich nach äußerlichem Schein, aber göttlich im Sein – werden Christus und Sokrates zusammengeführt und bilden einen locus communis für die Lesarten des Hässlichen in der Renaissance. Zur Poetisierung: Der hässliche Körper erfährt in der Renaissance eine literarische Aufwertung als Sujet der Dichtung: Gemäß dem humanistischen Ideal der varietas werden am Motiv des unförmigen Körpers rhetorische Stilübungen durchexerziert und neue literarische Formen erprobt. Cléments Marots „Contreblason du laid tétin“ (1535) ist sicherlich eines der prominentesten Beispiele für einen spielerischen und experimentellen Umgang mit dem Hässlichen, für den er sogar einen neuen Stil, einen „style epouvantable“, fordert und damit eine pseudo-poetologische Auseinandersetzung darüber, wie Hässlichkeit zu schreiben wäre, anstößt.

Bevor sich die Arbeit monographisch den jeweiligen literarischen Korpora widmet, werden im ersten Teil („Pensée et formes littéraires de la laideur“) die vorherrschenden ideengeschichtlichen Diskurse der Renaissance mit Hinblick auf die Frage des Hässlichen beleuchtet: Stellvertretend für die neuplatonischen Positionen stehen Marsilio Ficinos Kommentare zu Platons und Plotins Abhandlungen. Das christlich-patristische Substrat wird repräsentiert durch die in der Renaissance viel rezipierten Schriften von Augustinus und Pseudo-Dionysius Areopagita. Das Hässliche wird in beiden Traditionslinien nicht eindeutig mit dem Bösen identifiziert, sondern ist in einer symbiotischen (Liebes)Dynamik mit dem Schönen begriffen. Der zweite Teil („Laideurs évangéliques“) untersucht Porträts mittelmäßig-schöner bis fratzenartig-hässlicher Figuren im Novellenband L’Heptaméron (1559) von Marguerite de Navarre. Die geistliche Prägung der Autorin, die der reformorientierten Strömung des évangélisme angehört, beeinflusst dabei maßgeblich ihr Verständnis von Hässlichkeit, die sie mit Augustinus als integralen Bestandteil der Welt begreift. Ebenfalls im Licht des évangélisme wird die Dichtung Marots gedeutet. Der dritte Teil („Poét(h)iques de la laideur“) zeigt, dass Marot nicht nur seine dichterische persona als die eines schmächtigen, gar hässlichen Sünders entwirft, sondern sehr gewagt neue Schreibformen des Hässlichen erprobt, die er auch für politisch motivierte Fehde mobilisiert. Im vierten Teil („L’idéal sous menace“) wird untersucht, wie die anti-petrarkistische Dichtung Du Bellays im Modus der Satire das lyrische Ideal des Petrarkismus kolportiert. Nicht mehr der schönen Olive, sondern den Ruinen Roms sind die Regrets (1558) gewidmet und zeichnen im Realismus einer „ryme en prose“ die wenig idealen, gar hässlichen Seiten des urbanen Verfalls, dem auch der alternde Dichterkörper unterliegt.