15. Kongress des Frankoromanistikverbands an der Universität Kassel

29.09.– 02.10.2026


Der Begriff der Ressource ist in den Wissenschaften und in der Gesellschaft omnipräsent, sei es, weil er in Zeiten von Wirtschaftskrisen, Debatten um Nachhaltigkeit und soziale Teilhabe als knappes und umkämpftes Gut angeführt wird, sei es, weil er seit Jahrhunderten als „Quelle“ jeglichen Wissens verstanden wird und als „Quelle der Musen“ zur Metapher für künstlerische Inspiration gerinnt. Er bezeichnet den Einsatz von Mitteln, die zur Erreichung eines Zieles zur Verfügung stehen. Es handelt sich hierbei um materielle und immaterielle Quellen (z.B. in Form von Texten oder Daten) bzw. um Rohstoffe von Wissen und Kommunikation. Ob aus ökono­mischer, ökologischer, sozialer, kultureller Perspektive – es geht stets um einen Bestand, der ein materielles Korrelat hat.
Die Schreibweise res:sources konturiert diese materielle Basis und fordert dazu heraus, sie zu definieren und in ihrer Relevanz zu verstehen. Zugleich wird diese materielle Basis diskursiv ge­staltet, überbaut oder überdacht. Zugang und Verteilung unterliegen hierbei komplexen Kon­troll­mechanismen und Machtgefällen, deren sprachlich-diskursive Verhandlung relevante Frage­stellungen anstößt. Im Sinne eines verstärkten Interesses an Materialität oder Posthumanismus lässt sich der Begriff der ressource ebenso neu denken wie im Kontext der Debatten um kulturellen Extraktivismus.

Weitere relevante Themenfelder ergeben sich aus der Infragestellung des Menschen als Ressource aus dekolonialer Perspektive. Hier stellt sich zudem die Frage, wem Daten und Texte gehören, und welche rechtlichen und ethischen Fragen der Zugriff auf Sprache und Kultur einzelner Sprachgemeinschaften aufwirft. Diese Fragen werden im Rahmen der CARE-Prinzipien (Collective BenefitAuthority to ControlResponsibilityEthics) geführt. Dies lässt sich zudem im Kontext einer kritischen Infragestellung von Biopolitiken und Reproduktionsmetaphern durch den Ökofeminismus und Queer Ecologies diskutieren.
Darüber hinaus lässt sich fragen, inwiefern Texte und Daten als Ressource fungieren. Lassen sich Überlegungen zu „Datenextraktion“ als (anders zu wertendes) Pendant zur Extraktion natür­licher Ressourcen verstehen sowie Texte und sprachliche Strukturen als Ressourcen wissen­schaftlicher Erkenntnis??  Die aktuellen Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz fordern das Nach­denken über res:sources und die Auseinandersetzung mit Wissensproduktion und Informations­verarbeitung heraus. Die Nutzung großer Sprachmodelle (Large Language Models, LLM) stellt historische Quellenbegriffe ebenso in Frage wie Konzepte von Autorschaft, Urheberschaft und Ko-Kreation.
Wenn wir aus der aktuellen Perspektive der Nachhaltigkeitsdebatte schauen, bezieht sich ressource auf globale Herausforderungen wie Klimawandel, Artensterben, Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung, die in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen haben. Die Relevanz dieser Entwicklungen erstreckt sich über verschiedene Lebensbereiche und hat weit­reichende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Wir werden unsere Ressourcen so nutzen müssen, dass auf der einen Seite zwar die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generationen erfüllt werden, damit wir „gut“ leben können. Auf der anderen Seite muss es ein Ziel sein, das Leben zukünftiger Generationen nicht zu gefährden, indem wir ihnen durch Ressourcen­knappheit die Möglichkeit nehmen, ihre eigenen Bedürfnisse zu decken. Während Natur- und Gesellschaftswissenschaften dafür Konzepte entwickeln und intensive Diskussionen führen, spielen die Geistes- und Kulturwissenschaften bisher noch keine entscheidende Rolle, um bei den Menschen das Bewusstsein für nachhaltige Praktiken zu schärfen und Individuen ebenso wie Gemeinschaften zu ermutigen, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen. Zugleich gilt es nach Schnitt­stellen und Divergenzen von Forschungsansätzen zu fragen, die im Zeichen von Humanités environnementalesÉcocritique und Écopoétique stehend Diskurstraditionen und Wissenspoetiken untersuchen und sich im Zeichen der Nachhaltigkeitswissenschaften mit der Funktion und Rolle der Geisteswissenschaften in aktuellen Debatten befassen.

Die Frankoromanistik ist durch ihre interdisziplinäre Ausrichtung selbst und durch die globale Bedeutung der Frankophonie mit dem Begriff der ressources in vielfältiger Weise verbunden. Sie pflegt und entwickelt ein Verständnis für die kulturellen und sozialen Kontexte, für historische Zu­sammenhänge und deren Auswirkungen auf heutige geopolitische Transformationen. Interna­tionale Diskussionen über Nachhaltigkeit in Organisationen wie der UNESCO oder der EU, werden zu großen Teilen auf Französisch geführt, wodurch ein Austausch von Ideen und Best Practices möglich ist. Zugleich weist eine „écologie decoloniale“ auf das schwierige Erbe eines extra­kti­vis­tischen Ressourcen-Verständnisses hin sowie auf die Dringlichkeit, dieses im Hinblick auf eine nach­haltige Entwicklung und holistisch angelegte Mensch-Umwelt-Verständnisse zu hinter­fragen.

In diesem Kontext sollen schwerpunktmäßig folgende Fragestellungen angegangen werden:
  • Was verstehen wir als Ressourcen? Wie führen diskursiv hervorgebrachte Begriffe wie Quelle, Wissen,Ursprung und Information zu bestimmten Festlegungen? Welche Selektions­prozesse lassen sich herauspräparieren?
  • Welche Rolle spielen die Termini der ressources und/oder sources in den Forschungen der Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften sowie Didaktik? Wie arbeiten die unterschiedlichen Disziplinen mit Konzepten, wie häufig werden sie hinterfragt, wie stetig sind sie im Wandel? Wie gestalten sich Narrative der Nachhaltigkeit und Transformation in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft?
  • Wie werden Erkenntnisse aus der Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften sowie Didaktik als argumentative Ressource in den Debatten der gesellschaftlichen Trans­formation genutzt? Wie behauptet sich die Geistes- und Kulturwissenschaften in Zeiten der Ökonomisierung von Wissen und Bildung?
  • Welche Rolle hat die Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung? Wie können Ressourcen mehrsprachiger Biografien genutzt werden, welche Hindernisse bestehen?
  • Inwiefern trägt die Hinterfragung anthropozentrischer Perspektiven zu einem neuen Ressourcen-Verständnis bei, das ökonomische und symbolische Machtverhältnisse intersektional offenlegt?
  • Welche methodisch-methodologischen Verfahren sind geeignet, um die anstehenden Herausforderungen zu erforschen? Welche Rolle kommt hierbei auch KI-gestützten Ansätzen zu und wie können wir diese zielführend für die Forschung einsetzen?
  • Welchen Begriff der res, welchen der sources setzt die Frankoromanistik voraus? Unter welchen Prämissen werden diese Begriffe in der Forschung umgesetzt?

Wir freuen uns über ein breites Angebot verschiedener Sektionen, deren Beschreibungen sie hier finden. Beitragsvorschläge zu den einzelnen Sektionen richten Sie bitte bis 31. Januar 2026 an die betreffende Sektionsleitung.

AKTUELLES ZUM 15. FRANKOROMANISTIKTAG