Fachdidaktische Sektionen Kassel 2026
Das 21. Jahrhundert ist geprägt von vielfältigen Herausforderungen wie der allgegenwärtigen Globalisierung, kriegerischen Auseinandersetzungen, dem Vormarsch künstlicher Intelligenz und dem Klimawandel. Diese Entwicklungen führen zu einem in der Gesellschaft verbreiteten diffusen Bedrohungsgefühl (vgl. Popp 2021). Die schwer eingrenzbaren Folgen und Gefahren technisch-ökonomischer Entwicklungen im Prozess der Modernisierung werden zunehmend sichtbar und zum klaren Merkmal einer „Weltrisikogesellschaft“ (Beck 2007, 153). Aktuell sind dystopische und apokalyptische Narrative im Trend, die abbilden, wie Menschen Kommendes auf individueller und sozialer Ebene imaginieren und welche Normen und Werte diesem zugrunde liegen könnten (vgl. Horn 2014, 22-24). Die kursierende Wahrnehmung von Zukunft als bevorstehende Katastrophe stellt ein perspektivloses Erbe für die Jugend in Aussicht (vgl. Wanning 2019, 430). Resignation und Schwarzmalerei führen jedoch nicht zu (nachhaltigem) Agieren, sondern zu einem Ohnmachtsgefühl und Perspektivlosigkeit. Um die involvierten Spannungsfelder politischer, sozialer und emotionaler Prozesse zu durchdringen und ins Handeln zu kommen, braucht es interdisziplinäre Bildung und Gedankenexperimente.
Vor diesem Hintergrund bietet der moderne Fremdsprachenunterricht durch seine inter- sowie transkulturelle Herangehensweise das Potenzial und die Ressourcen, globale Zusammenhänge zu thematisieren und neue Zukunftsperspektiven ‚denkbar‘ zu machen. Dafür eignet sich in besonderer Weise eine Verbindung zum Programm Bildung für nachhaltige Entwicklung 2030. Dieses führt die Ziele des UNESCO-Weltaktionsprogramms BNE (vgl. UNESCO & WAP BNE 2015-2019) fort und verfolgt das Anliegen, Bildung und
Lernen so zu gestalten, dass nachhaltige Entwicklung gefördert wird – mit besonderem Fokus auf die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) (vgl. UNESCO & DUK 2021, 3-9). Für die Fremdsprachendidaktik gilt es daher, sprachliches Verstehen und Handeln in Verbindung zu bringen, wofür der Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung (Schreiber & Siege 2016) für die Sekundarstufe I bereits fachspezifische Kompetenzen und Umsetzungsideen vorschlägt. Für die romanischen Sprachen findet sich in diesem ersten Text, im Gegensatz zum Fach Englisch, jedoch keine unterrichtspraktische Umsetzungsidee. Der Orientierungsrahmen für die gymnasiale Oberstufe, der voraussichtlich noch 2025 erscheinen wird, verspricht diesbezüglich eine fundierte Erweiterung für die Sekundarstufe II. Diese Vorgaben didaktisch zu durchdringen, zu reflektieren, zu kritisieren sowie zu erweitern, ist eine unmittelbare Aufgabe der Fremdsprachendidaktik, um Lernende zukunftsorientiert handlungsfähig zu machen.
Da Zukunft allerdings noch nicht stattgefunden hat, entzieht sie sich sinnlicher Wahrnehmung und schließt jedes Erfahrungswissen aus. Somit stellt die Imagination das grundlegende Element der Auseinandersetzung dar (vgl. Eggert & Zweck 2022, 92-93). Für die Französischdidaktik stellt sich deshalb die Frage, wie anhand von Narrationen im Rahmen eines geschützten Probehandelns neue Perspektiven auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel, Demokratiebildung und Technologisierung kennengelernt und sich aktiv mit diesen auseinandergesetzt werden kann, um einen differenzierten Blick auf Zukunft zu gewinnen und eigene Handlungsperspektiven zur Mitgestaltung zu erkennen. Vor diesem Hintergrund kommt literarischen Texten als Ausgangspunkt der unterrichtlichen Behandlung eine besondere Rolle zu, die in der Sektion näher eruiert werden soll. Dabei wird, den Bildungsstandards folgend (vgl. KMK 2023, 8), ein erweiterter Textbegriff zugrunde gelegt, der eine große Vielfalt von analogen und digitalen Textsorten inkludiert. Gerade im Kontext von Nachhaltigkeitsbildung bieten literarische Texte einen emotionalen und persönlichen Zugang zu den oben genannten, schwer greifbaren Spannungsfeldern (vgl. Spinner 2016, 190). Mit ihren imaginativen Verfahren motivieren sie die Lesenden zur Auseinandersetzung, bieten einen dritten Ort des Probehandelns (vgl. Kramsch 1993, 236) und laden ein, über die Verbindungen zwischen Mensch, Natur, Technik und Umwelt zu reflektieren (vgl. Surkamp 2015, 80).
Vor diesem Hintergrund soll sich die Sektion schwerpunktmäßig folgenden Fragen widmen:
1. Welche (multimodalen) literarischen Textsorten (Romane, Comics, Filme, Lieder, Hypertexte, Social Media-Narrationen etc.) stehen dem Französischunterricht als Ressource für eine Thematisierung von BNE zur Verfügung und welche Potenziale bringen diese jeweils mit?
2. Welche inhaltlich-thematischen Schwerpunkte beinhalten diese literarischen Texte und welche zukunftsbezogenen Diskurse können anhand derer erschlossen und reflektiert werden?
3. Welche spezifischen Kompetenzen kann der Französischunterricht bei Lernenden anhand dieser literarischen Texte (weiter-)entwickeln, um politisches Engagement und Zukunftsgestaltung denkbarer zu machen?
4. Welche Rolle fällt Lehrkräften als Schlüsselpersonen bei der Vermittlung von Nachhaltigkeitskompetenzen und -themen anhand literarischer Texte zu (vgl. UNESCO & DUK 2021, 30)?
Willkommen sind sowohl theoretische Vorträge, die sich dem oben genannten Themenkomplex auf einer Metaebene annehmen, als auch praxisorientierte Vorträge, die einen konkreten Text ins Zentrum rücken und unterrichtliche Vorschläge unterbreiten, sowie etwaige bereits durchgeführte oder in Bearbeitung befindliche empirische Projekte zu der Thematik.
Wir bitten um Vortragsvorschläge in dt. oder frz. Sprache mit einer Länge von höchstens 500 Wörtern (zzgl. Bibliographie) bis zum 31. Januar 2026 an die folgenden Adressen: jasmin.garavello@uni-muenster.de, corinna.koch@uni-muenster.de.
Für die Einreichungen bitten wir die beigefügte Vorlage zu verwenden. Über die Annahme der Beiträge wird bis zum 28. Februar 2026 informiert.
Bibliographie
Beck, Ulrich. 2007. Weltrisikogesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Eggert, Michael & Axel Zweck. 2022. Narrative Scharniere – Zur Vermittlung von Emotionalität und Zukunftsperspektiven. In Katharina Schäfer, Karlheinz Steinmüller & Axel Zweck, (eds.), Gefühlte Zukunft. Emotionen als methodische Herausforderung für die Zukunftsforschung, 85–110. Wiesbaden: Springer.
Horn, Eva. 2014. Zukunft als Katastrophe. Frankfurt am Main: Fischer.
KMK = Ständiges Sekretariat der Kultusministerkonferenz. 2023. Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für den Ersten Schulabschluss und den Mittleren Schulabschluss. https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2023/2023_ 06_22-Bista-ESA-MSA-ErsteFremdsprache.pdf (20/08/2025).
Kramsch, Claire. 1993. Context and culture in language teaching. Oxford, Oxford University Press.
Popp, Reinhold. 2021. Zukunftsangst und Klimakrise – im Kontext komplexer Wandlungsprozesse. In Bernd Rieken, Reinhold Popp & Paolo Raile, (eds.), Eco-Anxiety – Zukunftsangst und Klimawandel, 327–346. Münster/New York: Waxmann.
Schreiber, Jörg-Robert & Hannes Siege (eds.). 2016. Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung. In Zusammenarbeit mit der KMK und dem BMZ. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_06_00-Orientierungsrahmen-Globale-Entwicklung.pdf (20/08/2025).
Spinner, Kaspar H. 2015. Elf Aspekte auf dem Prüfstand. Verbirgt sich in den elf Aspekten literarischen Lernens eine Systematik? Leseräume. Zeitschrift für Literalität in Schule und Forschung 2(2). 188–194.
Surkamp, Carola. 2012. Literarische Texte im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht. In Wolfgang Hallet & Ulrich Krämer (eds.), Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele, 77–90. Seelze: Klett-Kallmeyer.
UNESCO & DUK. 2021. Bildung für nachhaltige Entwicklung. Eine Roadmap. #ESDfor2030. #BNE2030. Paris/Bonn. https://www.unesco.de/sites/default/files/2021-10/BNE_2030_Roadmap_ DE_web-PDF_nicht-bf.pdf (20/08/2025).
UNESCO & WAP BNE. 2015-2019. Roadmap zur Umsetzung des Weltaktionsprogramms „Bildung für nachhaltige Entwicklung. https://www.bne-portal.de/bne/shareddocs/downloads/files/2015_roadmap _deutsch.html (20/08/2025).
Wanning, Berbeli. 2019. Literaturdidaktik und Kulturökologie. In Christiane Lütge (ed.), Grundthemen der Literaturwissenschaft: Literaturdidaktik, 430–453. Berlin/Boston: De Gruyter.
Im Zeichen gesellschaftlichen Wandels, wachsender Bildungsungleichheiten und digitaler Disruptionen rückt das Zusammenspiel von Digitalisierung und Inklusion zunehmend in den Fokus fremdsprachendidaktischer Diskurse. Digitale Transformationsprozesse bieten das Potenzial, Ressourcen im Fremdsprachenunterricht nicht nur zu erweitern, sondern im Hinblick auf Fragen von Teilhabe und Inklusion auch neu zu denken: „Zentrales Ziel des Bildungswesens ist es, allen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine bestmögliche Bildung und demokratische Teilhabe in einer zunehmend digitalen Welt zu ermöglichen und Bildungsungleichheit entgegenzuwirken.” (SWK 2022, S. 109)
Di:klusion verfolgt das Ziel, digitale Technologien nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zur Ermöglichung individualisierter und barrierefreier Lernprozesse zu verstehen. Dabei können digitale Medien eine pädagogische, didaktische, soziale oder kulturelle Ressource bilden, um Lernenden mit unterschiedlichen Voraussetzungen einen chancengerechten Zugang zu Bildung zu ermöglichen (vgl. Hartung, Zschoch & Wahl 2021). Auch die in den überarbeiteten Bildungsstandards für die erste Fremdsprache formulierte „fremdsprachenspezifische digitale Kompetenz” (KMK 2023, S. 25f.) knüpft an diesen Zusammenhang an und weist die hohe Relevanz schülerseitiger Kompetenzen für einen zielführenden Umgang mit digitalen Werkzeugen für das Fremdsprachenlernen an.
Ausgehend vom Konzept der Diklusion (vgl. Schulz & Krstoski 2021) thematisiert die Sektion den Fremdsprachenunterricht Französisch als Handlungsfeld, in dem Didaktik und Methodik auf Fragen von Teilhabe, Differenzsensibilität, Ressourcenverfügbarkeit und Bildungsgerechtigkeit treffen. In Anlehnung an das Konferenzthema Res:sources versteht Di:klusion digitale Technologien und Medien nicht nur als technische Hilfsmittel, sondern als kulturell gerahmte, durch Machtverhältnisse vermittelte Ressourcen, deren Zugang, Gestaltung und Verteilung tiefgreifende ethische und bildungspolitische Fragen aufwerfen. So geht es um einen inklusiven Medieneinsatz im Französischunterricht sowie eine gerechtere und nachhaltigere Gestaltung fremdsprachlicher Bildung auf unterschiedlichen Ebenen, vom Individuum bis zur Gesellschaft (vgl. Schulz 2018).
Im Zentrum der Sektion stehen folgende Leitfragen:
· Welche digitalen Ressourcen eignen sich besonders zur Förderung inklusiver Lernprozesse im Französischunterricht?
· Wie können digitale Medien eingesetzt werden, um Barrieren beim Fremdsprachenlernen insbesondere für Lernende mit unterschiedlichen sprachlichen, kognitiven oder soziokulturellen Voraussetzungen abzubauen und individuelle Lernwege zu eröffnen?
· Welche immaterielle Ressource bildet die sprachliche, kulturelle, soziale und physische Heterogenität der Schülerschaft im Französischunterricht?
· Welche empirischen Befunde liegen bereits zur Wirksamkeit diklusiver Unterrichtskonzepte im Französischunterricht vor?
· Wie lassen sich intersektionale Perspektiven (z. B. Neurodiversität, Behinderung und Beeinträchtigung (vgl. Lebenshilfe o.J.), sozioökonomischer Status, Migrationserfahrung, Gendersensibilität) in eine diklusive Unterrichtspraxis integrieren?
· Wie können KI und Learning Analytics zur Binnendifferenzierung im Französischunterricht beitragen und welche Rolle spielen Open Educational Resources (OER) in der inklusiven Französischdidaktik?
· Welche Risiken der digitalen Exklusion bestehen und wie kann ihnen im Französischunterricht präventiv begegnet werden?
· Wie verändert der Zugang zu digitalen Ressourcen das Verständnis von Teilhabe, Partizipation und Gerechtigkeit im Französischunterricht?
· Welche Rolle spielt die digitale Inklusion des Globalen Südens im Französischunterricht, zum Beispiel im Rahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung und welche Verantwortung hat die Französischdidaktik angesichts der Ökonomisierung (digitaler) Bildung?
· Wie kann eine kritische écologie numérique im Französischunterricht helfen, kolonial geprägte Ressourcennarrative zu erkennen und zu dekonstruieren?
Die Sektion lädt zu empirischen, konzeptuellen und praxisorientierten Beiträgen aus Forschung, Lehrer:innenbildung und Schulpraxis ein, die das Spannungsfeld zwischen Digitalisierung, Inklusion und Ressourcengerechtigkeit im Französischunterricht beleuchten, um eine interdisziplinär anschlussfähige Diskussion über Di:klusion als zukunftsweisendes Paradigma in der Fremdsprachendidaktik Französisch zu eröffnen.
Wir bitten um Vortragsvorschläge in dt. oder frz. Sprache mit einer Länge von höchstens 500 Wörtern (zzgl. Bibliographie) bis zum 31. Januar 2026 an die folgenden Adressen: sophie_engelen@icloud.com, wengler@romanistik.phil.uni-hannover.de.
Für die Einreichungen bitten wir die beigefügte Vorlage zu verwenden. Über die Annahme der Beiträge wird bis zum 28. Februar 2026 informiert.
Bibliographie
Hartung, Julia; Zschoch, Elsa & Wahl, Michael. 2021. Inklusion und Digitalisierung in der Schule: Gelingensbedingungen aus der Perspektive von Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung 41. 55-76. https://doi.org/10.21240/mpaed/41/2021.02.04.X.
KMK. 2023. Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für den Ersten Schulabschluss und den Mittleren Schulabschluss. Online: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2023/2023_06_22-Bista-ESA-MSA-ErsteFremdsprache.pdf.
(Lebenshilfe=) Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. (o. J.): Die richtige Bezeichnung: Behinderung, Beeinträchtigung oder Handicap? Online: https://www.lebenshilfe.de/ueber-uns/bezeichnung-behinderung?srsltid=AfmBOoq5C3zxwQRUUczAszbwmRupYgQjE8RMG_MhRQMvioxmXYFgGR3S.
Schildhauer, Peter & Bündgens-Kosten, Jules (eds.) (2025): Diklusion im Fremdsprachenunterricht. Perspektiven auf Teilhabe und digitale Medien. Weinheim: Beltz Juventa.
Schulz, Lea. 2018. Digitale Medien im Bereich Inklusion. In Birgit Lütje-Klose, Thomas Riecke-Baulecke & Rolf Werning (eds.), Basiswissen Lehrerbildung: Inklusion in Schule und Unterricht, Grundlagen in der Sonderpädagogik, 344–367. Seelze: Klett/Kallmeyer.
Schulz, Lea & Krstoski, Igor. 2021. Diklusion. In Lea Schulz , Igor Krstoski, Martin Lüneberger & Dorothea Wichmann (eds.), Diklusive Lernwelten – Zeitgemäßes Lernen für alle Schülerinnen und Schüler, 31–43. Dornstadt: Visual Ink publishing.
(SWK=) Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (2022): Digitalisierung im Bildungssystem: Handlungsempfehlungen von der Kita bis zur Hochschule. Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK). Online: https://www.swk-bildung.org/content/uploads/2024/02/SW
